Wir sitzen in der prächtigen salle de dégustation der Domaine André Jacquart. Champagner sind aber weit und breit keine zu sehen. Dafür ist die Patronne, Marie Doyard, anwesend und erzählt uns, wie es dazu kam, dass sie die Zügel des Familienunternehmens in die Hand nahm.
Marie wollte den elterlichen Betrieb nie übernehmen. Sie türmte schon früh nach Paris. Als es dann aber so weit ist, dass sich die Eltern zur Ruhe setzen, entscheidet sie sich trotzdem anders, unter einer Bedingung: dass sie uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit geniesst. Die Eltern akzeptieren und so wird Marie mit 25 Jahren Chefin eines 24 Hektaren grossen Betriebs mit Reben in Dörfern mit so wohlklingenden Namen wie Le Mesnil-sur-Oger und Vertus.
Marie hat ihre Bedingung mit Kalkül gewählt, denn sie verändert fast alles, was sich verändern lässt. Sie tauscht die Stahltanks gegen Holzfässer aus dem Burgund, erhöht die Zeit, die die Champagner im Keller auf der Hefe verbringen, um mehrere Jahre und verringert die Dosage massiv. Sie stellt die gesamte Produktion auf blanc de blancs aus 100 % Chardonnay um (ausser beim Rosé), wechselt Teile des Personals aus und krempelt die Corporate Identity um. Die Konsequenz der Änderungen: Die Menge verkaufter Flaschen fällt um 70 %, alle bestehenden Kunden gehen verloren. Auf unsere Frage, ob sie dies beunruhigt habe, meint Marie lakonisch: «Ich habe es erwartet.»
Auf ein Zeichen von Marie bringt nun eine Mitarbeiterin erste Champagner herein, auf dass die salle de dégustation ihren Zweck erfüllen kann. Als erstes kredenzt uns Marie ihre, wie sie es nennt, Visitenkarte: die Cuvée Vertus Expérience, die Basiscuvée der Domaine André Jacquart. Schon nach dem ersten Ansetzen der Nase merken wir, dass wir diese Visitenkarte nur deshalb verlieren würden, um nochmals nach einer weiteren fragen zu können. Was uns betört, ist ein wunderbarer Duft nach Brioche, gepaart mit Nüssen und Frische. Die vier Jahre auf Hefe – eine enorm lange Zeit für eine Basiscuvée – sind jeden zunächst verlorenen Kunden wert.
Weiter geht es mit Mesnil Expérience, wofür ausschliesslich Trauben aus Le Mesnil-sur-Oger verwendet werden, und einem Jahrgangschampagner aus dem Jahr 2012, der acht Jahre auf der Hefe lag. Den Abschluss macht ein Rosé. Die Blicke, die wir untereinander während der Degustation austauschen, reichen aus, um zu entscheiden, dass wir mit Marie zusammenarbeiten wollen.
Während der Verkostung erzählt uns die heute 43-jährige Marie, dass die Zeit des Absatzeinbruchs längst vorüber sei. Als eher grosses unter den Winzerhäusern produziere Champagne André Jacquart heute 100 000 Flaschen pro Jahr, die in mehr als einem Dutzend Länder erhältlich seien. Die selbstbewusste Winzerin ist zweifelsohne auch eine hervorragende Geschäftsfrau.
Nachdem alle Champagner degustiert und auch die Kellerräumlichkeiten und die cuverie besichtigt sind, zeigt uns Marie die zur Domaine gehörende Golfanlage; Maries Ehemann ist Golfpro. Doch das wäre eine andere Geschichte.