Schallend lacht Yann Prophète und streckt seine Arme so weit aus, als möchte er die ganze Welt umarmen. An den Grund für das durchdringende Lachen – oder ob es überhaupt einen dafür gab – vermögen wir uns nicht mehr zu erinnern. Denn an diesem warmen Junitag werden unzählige weitere Ausrufe und Ausbrüche der Freude folgen. Umso besser ist unsere Erinnerung dafür an den Ort, an dem Yann die Welt zu umfassen versuchte: Yanns halbkreisförmiger biologisch bestellter Weinberg, der auf den Seiten von bewaldeten Hügeln umrahmt wird wie ein antikes Theater. Die Hauptrollen spielen 1973 und 1975 gepflanzte alte Chardonnay- und Pinot-noir-Reben.
Die letzten Echowellen von Yanns Frohmut sind gerade in seinem Odeum von Landreville in der Côte des Bar verhallt, als wir ein Reh erspähen, das seinen Kopf zwischen zwei Rebzeilen hervorstreckt. «Sie fressen nur vom Pinot noir», weiss Yann. «Chardonnay mögen sie nicht.» Macht Sinn, denken wir. Pinot noir zu einem Rehrücken ist ein Gedicht und in Gedanken liegt das Tier schon auf unseren Tellern. In der Realität sind wir aber nicht einmal schnell genug für einen Schnappschuss.
Ohne Yann von unseren Wildphantasien zu berichten, machen wir uns auf den Weg in seinen Champagnerkeller. Auf der Fahrt erzählt uns Yann stolz, dass sein Weingut rund 40 000 Kilo Trauben abwerfe, er davon aber durchschnittlich nur die besten 2 000 Kilo für die eigene Produktion verwende und den Rest an die grossen Champagnerhäuser verkaufe. Bei schlechter Ernte produziere er 1 500 Flaschen im Jahr. In guten Jahren wären es maximal 5 000 Flaschen. Quantität spielt für Yann keine Rolle. Ihm geht es um Qualität – und um traditionelles Handwerk.
Letzteres merkt man schon beim Betreten seines Kellers, einem Gewölbekeller aus dem 19. Jahrhundert, den die Aura einer Krypta umgibt und der tatsächlich in Kreuzform erbaut wurde. Die Reliquien, die Yann in seinem Tempel aufbewahrt, sind aber keine Heiligengebeine, sondern ein knappes Dutzend bis zu 150 Jahre alte Maschinen, die manuell bedient werden und alle in Gebrauch stehen. Besonders faszinierend ist die Apparatur für die Dosage der frisch degorgierten Flaschen, in deren Mitte sich ein kleiner Glasbehälter befindet, der mit flüssigem Gold gefüllt zu sein scheint.
Yanns Qualitätsanspruch kommt neben der rigorosen Traubenselektion besonders im Hefelager von mindestens acht Jahren und der eigenen Geduld zum Ausdruck. Zwar hat Yann bereits 2002 damit begonnen, Champagner zu keltern, doch erst seit dem Jahrgang 2010 fühlt er sich befähigt, seinen Ansprüchen gerecht zu werden. Der 2010er ist der erste seiner Champagner, mit dem er in den Verkauf geht. Und weil Yann wohl schon ahnte, dass sich die Leute darum reissen würden, hat er sich entschieden, gleichzeitig auch die Jahrgänge 2011 und 2012 zu lancieren. Doch damit nicht genug: «Jeden Jahrgang vermarkte ich mit zwei unterschiedlichen Dosagen: brut nature und extra brut.»
Alle diese Jahrgänge bestehen übrigens zu 100 % aus Chardonnay, einem Chardonnay, der sogar zu einem Rehrücken passt.