Als wir uns für unser erstes Treffen mit Alexandre verabreden, gibt er uns keine genaue Adresse an. «Kommt zum Haus in der Ortsmitte von Janvry, aus dem es raucht.» Leicht verunsichert ob dieser Wegbeschreibung gelangen wir im 120-Seelendorf an und siehe da: Rauch steigt in unsere Nasen. Er kommt von Holz, das einen 100-jährigen Kessel heizt, und es stammt, wie wir gleich vom Schnaps brennenden Alexandre erfahren werden, von einer Eiche, die vor einem Jahr in seinen Weinbergen geschlagen wurde. In der Brennstube angelangt betört uns der Dampf des Weins, der gerade zu eau de vie verarbeitet wird. Der Champagnerschnaps dient Alexandre zur Herstellung von Ratafia, ein in der Champagne seit Jahrhunderten hergestellter Mix aus Alkohol und frischem Traubensaft.
Alexandre ist ein Kerl von einem Mann, grossgewachsen, mit Händen, die man lieber nicht zu lange schütteln will. Er schlägt vor, die Degustation mit dem Mittagessen zu verbinden, und wir setzen uns an den Picknicktisch in der Mitte der Brennstube. Zur hausgemachten Pastete reicht uns Alexandre Intuition, Mouvance und Frénésie (erhältlich ab Februar 2022). Alles Champagner, die biologisch und nach dem Mondkalender gekeltert wurden. Alles Champagner, die explosiv und fein zugleich sind. Mit unterschiedlichen Intensitäten von Frucht und Mineralität. Die Etiketten und sogar die Tinte, mit welcher sie beschrieben sind, stammen aus lokaler Produktion.
Am Nachmittag besuchen wir Alexandres Hühner. Er setzt sie als natürliche Insektizide und Düngemaschinen ein. Unsere Bemerkung, sie würden auch einen schmackhaften coq au vin abgeben, wird mässig begeistert aufgenommen und dadurch beantwortet, dass Alexandre eines seiner Hühner hochhebt, an seine Brust hält und streichelt. Anders als wir scheint das Huhn nichts dagegen zu haben, etwas länger von Alexandres Händen gehalten zu werden.
Als das Huhn wieder nach Raupen pickt, erklärt uns Alexandre, dass er überall auf seinen vier Hektaren Reben Bäume pflanzt: zum Bespiel Aprikose und Hasel. Auch diese dienen der natürlichen Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten – ganz einfach, indem sie die Biodiversität erhöhen.
Unsere letzte Besichtigungsstation ist der Weinkeller. Dort befinden sich unter anderem die undegorgierten Flaschen. Das sind diejenigen Champagner, die mit einem Kronkorken verschlossen sind und darauf warten, dass dieser durch den drahtumschlungenen Zapfen aus Kork ersetzt wird.
Vor einem Gestell undegorgierter Flaschen der Prestigecuvée Les Côtes Chéries stehend greift Alexandre nach einer davon; aus seiner Jackentasche zieht er einen zangenähnlichen Gegenstand. Und plötzlich: Peng! Das Kronkorkenprojektil schiesst unter einer Dampfwolke davon. Verschüchtert vom Knall schauen wir Alexandre an. Lächelt er mörderisch oder amüsiert er sich nur über unsere Erschrockenheit? Jedenfalls sind wir froh, dass er keinen Revolver in der Hand hält. Und welch ein Glück, denken wir uns, wurde Alexandre Winzer und nicht Koch – für die Hühner, aber vor allem auch für alle Champagnerliebhaber.