Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, müssen wir einen Fuss behutsam vor den anderen setzen. Steine, die sich durch unsere unsicheren Schritte lösen, rollen den Hang hinunter. Wir stehen in einer von Paul-Bastien Clergeot ausschliesslich in Handarbeit bewirtschafteten Steillage und verstehen, weshalb Pauls Kollegen nicht verstehen, was Paul an dieser Parzelle so schätzt. Paul, den die Kollegenmeinung wenig kümmert, stört die schwierige Arbeit nicht. Er schwärmt vielmehr davon, wie die Wurzeln der Reben noch nie in ihrem Leben unter den Tonnen der Traktoren aufjaulen mussten.
So viel übrig wie für die Meinungen anderer hat Paul für Langsamkeit. Das merkten wir gleich bei der Begrüssung, als sein Blick schon zum nächsten von uns wanderte, als er noch die Hand des Vormannes in der seinen hielt. Nicht anders verhält es sich nun in Pauls Champagnerkellerei, der nächsten Station unserer Besichtigung. Wie ein Wiesel flitzt Paul zwischen den Holzfässern und Stahltanks hin und her, schiesst sich fast überholende Worte aus seinem Mund und gönnt unseren behäbigen Schweizer Gehirnen keine Erholung. Da plötzlich halten wir Gläser in der Hand, in denen Pauls Chevry cuvée cuve perlt.
In der Hoffnung auf eine beruhigende Wirkung gönnen wir uns einen Schluck. Beruhigt fühlen wir uns danach aber nicht – viel eher elektrisiert. Und erleuchtet. Denn schlagartig wird uns klar, woher Paul all seine Energie hat. In unser Degustationsheft notieren wir: «Wer Gin Tonic mag, wird den Chevry cuvée cuve vergöttern.»
Neben dem Chevry cuvée cuve keltert Paul einen weiteren Champagner: den Chevry cuvée fût. Dieser besteht aus den gleichen Trauben derselben Parzellen wie der Chevry cuvée cuve. Für den Chevry cuvée fût baut Paul die Grundweine aber im Holzfass aus. Dieser kleine Unterschied zeitigt grosse Wirkung: Das Tonic, das wir im Chevry cuvée cuve entdeckt hatten, wandelt sich im Chevry cuvée fût zu Honig, und die Grapefruit wird zur Clementine. Die passende Cocktailreferenz ist dieses Mal der Klassiker Side Car.
Während der Degustation fragen wir Paul, was er tue, wenn er etwas Ruhe benötige. «Ich fahre Velo oder widme mich meinem Kompost.» Zum zweiten Teil der Antwort ergänzt Paul, dass er zwei Monate pro Jahr darauf verwende, um aus der verdauten Nahrung von Kühen, Schafen und Ziegen seinen eigenen Naturdünger zu kreieren. Biobauernmeditation nennt sich das dann wohl. Einen Moment überlegen wir, unser Angebot um Kurse in kreativem Kompostieren für gestresste Städter zu erweitern.
Nun steigen wir in Pauls Lieferwagen, auf dem die Aufschrift «Competition Motorsports» prangt. Der Aufschrift alle Ehre machend erreichen wir ein kleines Waldstück. Nach kurzem Fussmarsch gelangen wir zu einem wenige Quadratmeter grossen Erdhügelchen, aus dem etwa hundert kleine Pflanzen ihre Köpfchen recken und das Paul seinen Kindergarten nennt. Bei den Kindergärtlern handelt es sich um zwei Jahre alte Jungreben, die nächsten Frühling an ihre definitiven Standorte gesetzt werden. «Bis dann schützt sie der Wald vor zu viel Sonne und Trockenheit», erklärt uns der Kindergärtner und lächelt auf einmal ganz ruhig.