Champagne C. H. Piconnet
Winzer: Agathe und Clément Piconnet (beide 1984)
Clément ist ein sympathischer Bär, Agathe gleicht einem scheuschlauen Luchs. Während der Bär durch die cuverie – der Ort, an dem die Trauben zu Wein werden – trottet, uns von einem Stahltank zum nächsten führt und begeistert die Funktionsweise der rostfreien Kolosse erklärt, beobachtet der Luchs die Szenerie still und aus leichter Entfernung. Und trotz Agathes Zurückhaltung werden wir uns rasch gewahr, dass sie wohl genauso gut über die Inoxtürme Bescheid weiss wie der Bär. Mindestens.
Nun steht der Bär vor einem Eichenfass, das allein, fast verloren inmitten der grossen, hohen cuverie steht, und erzählt, während er unablässig lächelt, vom Pinot noir, der sich im Innern des einsamen Fasses befindet. Wäre der Bär wirklich ein Bär, würde man meinen, er hätte gerade einen unbewachten Honigtopf gefunden, so verzückt erzählt er. Als wir den Worten Cléments lauschen, hat sich unbemerkt – wie es sich für ihn gehört – der Luchs angeschlichen und hält uns unverhofft ein Glas entgegen. Wie er es geschafft hat, sich unertappt am einsamen Fass zu schaffen zu machen, wissen wir bis heute nicht. Was wir hingegen mit Sicherheit wissen, nachdem wir von diesem Pinot noir kosten durften, ist, weshalb Bären Honigtöpfe immer leer zurücklassen.
Der rote Honig aus dem einsamen Fass bildet die Basis des Rosés Les Vignes de Charles. Und was für eine Basis: Gleich 20 % des Rotweins verschneiden Agathe und Clément für ihren biologisch angebauten Les Vignes de Charles. Üblich sind zwischen 5 % und 15 %. Einsam ist das Fass, aus dem der Pinot noir für den Rosé stammt, übrigens, weil alle weiteren Champagner der Domaine C. H. Piconnet ausschliesslich in Stahltanks ausgebaut werden.
Nach der Führung durch die cuverie zeigt uns Clément in einem weissen Ford Ranger seine malerischen Weinberge der Côte des Bar, der zu Unrecht unbekanntesten Region der Champagne, führt uns zu den Bienenvölkern, die er hält, und macht Halt an dem Stück Seineufer, das ihm und Agathe gehört und jeder Pariser als glatten Schwindel bezeichnen würde ob der Sauberkeit und Idylle des Flusses.
Nun – endlich! – geht es ans Degustieren: Les Vignes de Charles, die Cuvée 3 Cépages und ein blanc de noirs. Wir sind uns einig: Das scheuschlaue Luchsische und das gemütlich-kräftige Bärische finden wir in allen Champagnern wieder. Die Gemeinsamkeit mit dem Luchs liegt in der Präzision am Gaumen. Ohne laut zu sein, treten die Geschmäcker zielsicher hervor, und das manchmal ganz unerwartet, wie zum Beispiel die Wassermelone im 3 Cépages. Der Bär macht sich im Charakter und der Länge im Abgang bemerkbar. Bärenstark würde den Champagnern von C. H. Piconnet aber nicht gerecht als Beschreibung. Dafür ist der Luchs zu präsent. Einzig bei Les Vignes de Charles scheint das Bärische etwas präsenter als das Luchsische zu sein: Würden wir diese Cuvée nur anschauen und möchte uns jemand glauben machen, uns sei Bärenblut eingeschenkt worden, wir hätten Mühe, zu widersprechen, so dunkelrot leuchtet es im Glas.