Wir sitzen seit einigen Minuten in Emilien Alloucherys Büro. Gerade hat er uns erzählt, dass er den Familienbetrieb in Eceuil in der Montagne de Reims schon vor 15 Jahren übernommen hat, aber erst seit 2018 seine eigenen Champagner abfüllt, als sein Telefon läutet. Noch während Emilien auf das Display schaut, beginnt er, kleine tänzelnde Bewegungen zu machen, die sich während des Telefonats zu einem veritablen Tanz ausweiten. Einen Moment denken wir an Schwanensee und plötzlich fällt uns auf, dass Emilien tatsächlich nichts von der typischen Winzerphysiognomie an sich hat, sondern einem drahtigen Balletttänzer ähnelt.
Als die Tanzeinlage beendet ist, klärt uns Emilien auf: «Die Etiketten für meine Champagner werden endlich geliefert. Seit Monaten warte ich darauf.» Diesen Grund zum Feiern nehmen wir als Anlass, eine Degustation anzuregen, und so stehen wir bald in Emiliens cuverie, der Ort, an dem er die Grundweine für seine Champagner lagert.
Emilien greift nach der langen Degustationspipette, füllt sie mit Grundwein, blickt uns scharf in die Augen und bringt sich in Fechtposition. En garde! Beobachteten wir gerade noch einen Ballerino, steht nun ein Musketier mit seinem Florett vor uns. Reflexmässig strecken wir ihm unsere Gläser hin. Hätten wir mit einem echten d’Artagnan gekämpft, wäre die Schweizer Garde wohl schwer verwundet. So aber droht uns höchstens eine leichte Beduselung. Diese nehmen wir gerne in Kauf, verzückt uns doch der Glasinhalt sehr. Der im Eichenfass ausgebaute reine Meuniersaft riecht nach Johannisbeeren und Kohlegrill. Im Mund vibriert er und lässt uns an ein suprême de volaille denken. Als nächstes dürfen wir vom in der Amphore ausgebauten Meunier verkosten. Dieser sei purer als die im Holz ausgebaute Variante, erklärt Emilien. «Um meine Champagner auszubalancieren, verwende ich für die meisten meiner Abfüllungen ca. 20 % Amphorenwein.» Auf die Champagner gewordene Form des Meunier müssen wir leider verzichten. Die ersten Flaschen kommen erst in einigen Jahren auf den Markt.
Auf dem Weg zu seinem Champagnerkeller erzählt uns Emilien, dass er in einem Laientheater spielt. Momentan probten sie ein pastiche aus verschiedenen Texten und Stücken von Victor Hugo. «Und in einigen Wochen findet auf meinem Hof das Festival Vin, musique & compagnie statt.» Das sei ein kleines lokales Kulturfestival, das er seit vielen Jahren organisiere. «Champagner ist ein Kulturgut. Als Winzer inspirieren mich andere Kulturbereiche, um meine Weine weiterzuentwickeln.» Das ist unübersehbar.
Nun stehen wir inmitten einer langen Reihe von alten Rüttelpulten, alle gefüllt mit Champagnerflaschen. Um die abgestorbenen Hefen der zweiten Gärung aus der Flasche zu entfernen, setzt Emilien auf die nur von Hand ausführbare Technik des Rüttelns, anstatt auf moderne Maschinen. Bevor wir die Frage «Wäre es möglich, eine Flasche…» beendet haben, knallt ein Korken. Im Glas perlt der Pinot noir, Sélection massale. Die Säure dieses Champagners ist derart betörend, dass wir wissen: Emiliens Paraderolle ist der Winzer.