Flaschengrössen
Manche Flaschen versuchen den Umstand, dass sie Flaschen sind, mit grossspurigem Verhalten zu kaschieren. Was bei Menschen meistens kläglich scheitert, gelingt den richtigen Flaschen mit Bravour. Sie glauben uns nicht? Vergleichen Sie den gleichen Champagner aus einer 0,75-Liter-Flasche mit demjenigen aus einer 1,5-Liter-Flasche und Sie werden uns glauben. Mag der Champagner aus der normalen Flasche noch so gut sein: Aus der Magnum schmeckt er einfach besser, konzentrierter und mehr auf den Punkt gebracht.
Für das Flaschenparadox gibt es Versuche rationaler Erklärungen, doch restlos überzeugt uns keine. Zwar ist es nachvollziehbar, dass in einer grösseren Flasche der Inhalt weniger schnell oxidiert als in einer kleineren, wenn beide den gleichen Flaschenhalsdurchmesser aufweisen – denn dann ist in der grösseren Flasche das Verhältnis zwischen Flüssigkeit und Sauerstoff günstiger als in der kleineren.
Wir glauben aber eher, dass Champagner eine Seele hat, und zwar eine ziemlich einfach gestrickte. Füllt man ihn in eine grössere Flasche, ist er schlicht zufriedener und hat bessere Laune als sein Kollege, der mit dem Bedienstetenzimmer vornehmen muss.
Kommt dazu, dass je grösser die Flasche ist, desto grandioser der Name wird, mit dem sich der Champagner schmücken darf. Heisst eine 0,75-Liter-Flasche bescheiden Standard, darf sich die nächstgrössere 1,5-Liter-Flasche bekanntlich Magnum nennen und von Brusthaar und einem roten Ferrari 308 GTB träumen (wobei wir anmerken müssen, dass ein weisser 308 GT4 noch traumhafter ist). So richtig schwelt des Champagners Brust aber vor Stolz an, wenn er eine 3-Liter-Flasche sein Heim nennen darf. Die heisst nämlich wie ein biblischer König: Jéroboam Ier (auf Deutsch Jerobeam). Dieser machte unter anderem von sich reden, weil er überall in seinem Reich goldene Kälber aufstellen liess. Doch wen interessieren schon die zehn Gebote, wenn 3 000 Jahre später eine Champagnerflasche nach einem benannt wird.
Auch die noch grösseren Flaschen sind nach biblischen oder babylonischen Königen benannt: Réhoboam (4,5 l), Methusalem (6 l), Salmanazar (9 l), Balthazar (12 l), Nebukadnezar (15 l), Melchior (18 l) und Melchisedech (30 l). Zu präzisieren ist aber, dass es sich bei diesen Flaschengrössen ausnahmslos um Hochstapler handelt. Der Champagner kommt nämlich erst in diese Flaschen, nachdem er in kleineren Flaschen sein >Hefelager durchlaufen hat. Oder anders ausgedrückt: Um etwa einen Champagner im Methusalem-Format zu erhalten, leert man den Inhalt von acht Standard- oder vier Magnum-Flaschen ins Grossformat (Fachbegriff: transvasage). Das geht mit einem signifikanten Verlust von Kohlensäure und einer Hyperoxidation einher. Goldenen Kälbern zu huldigen, ist daher allemal sinnvoller, als Elefanten-Flaschen anzubeten. •